„Öko-Aufstand“ in Belgrad

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Derzeit kommt es immer wieder zu Protesten in Serbien. Der letzte seiner Art fand am vergangenen Wochenende in Belgrad statt. Doch anders als in den Nachbarländern oder in Serbiens Hauptstadt im vergangenen Jahr geht es nicht um das Für und Wider von Coronamaßnahmen.

Die Demonstrationen am Wochenende richteten sich gegen den vom Staat vernachlässigten Umweltschutz sowie ein dadurch hervorgerufenes Absinken der Lebensqualität.

Der Protest am Wochenende, zu welchem sich mehrere tausend Menschen im Zentrum Belgrads versammelten, trug denn auch den klangvollen Namen „Ekološki ustanak“, zu Deutsch „Ökologischer Aufstand“.

Vor Ort waren auch mehrere Oppositionsparteien, welche sich den Forderungen der potentiellen Wähler entschlossen. Offiziell verstand sich der Protest aber als unparteiisch.

Mehrere Mitglieder der Regierungskoalition widersprachen dem aber entschieden. Beim „Aufstand“ handele es sich vor allem um Vertreter der Vorgängerregierung, welche das Thema Umweltschutz für eigene Zwecke instrumentalisieren wollten. Jene verfolgten das Ziel, Serbien von einem Energieproduzenten zu einem Importeur zu machen. Zudem ginge es ihnen darum, Investitionen aus jenen Ländern zu verhindern, welche dem Westen nicht genehm seien.

Aleksandar Šapić, Vorsitzender der Serbischen Patriotischen Bundes (SPAS) kritisierte ebenfalls die Proteste. Umweltschutz liege auch ihm am Herzen, jedoch dürfe dieser nicht parteipolitisch instrumentalisiert werden, erklärte er.

„Ökologie ist ein sehr wichtiges Thema, welches ich als erster befürworte und für mich zu den Prioritäten gehört. Wenn es jedoch bei dem Protest nur drei Minuten lang über Umweltprobleme gesprochen wird und 53 Minuten über die derzeitige Regierung frage ich mich, wer eigentlich hinter den Protesten steckt“, so Šapić.

Umweltschutz ist eine politische Frage

Dobrica Veselinović von der Initiative „Lasst Belgrad nicht untergehen!“ sieht hingegen eine grundsätzliche Verbindung von Umweltfragen und politischen Themen. Es sei zudem nichts Falsches an den Protesten gewesen.

„Die Kundgebung und die Themen, welche auf der Tagesordnung waren, sind natürlich nichts anderes als politische Themen. Wie unsere Umwelt aussehen soll, ob sie zerstört oder erhalten bleiben wird, ist eine politische Frage“, erklärte Veselinović auf Anfrage von „Politika“.

Deshalb sei auch eine Verknüpfung des Umweltthemas mit anderen politischen Themen wie Korruption, Rechtsstaatlichkeit oder Missachtung von Gesetzen unumgänglich.

„All diese Dinge sind am Beispiel des Baus von Mini-Wasserkraftwerken zu sehen. Das ist nicht nur eine ökologische Frage. Denn jemand hat da einen Job bekommen, weil er den Behörden nahesteht. Alles in Serbien ist Politik, ob man das zugibt der nicht“, so Veselinović.

Auch der Vorsitzende der Grünen, Serbiens Umweltpartei, Goran Čabradi erklärte gegenüber „Politika“, dass die Menschen ein starkes Empfinden dafür haben, dass sie für eine gesunde Umwelt kämpfen müssen. Sie seien aber noch nicht bereit, dafür auch abzustimmen. Das hatte sich nicht zuletzt bei den letzten Wahlen gezeigt, bei welchen Serbiens Grüne äußerst miserabel abgeschnitten hatten.

„Wir konnten nicht genau feststellen, warum dies so war. Es ist möglich, dass wir so wenig Stimmen erhielten, weil die Leute denken, dass wir einfach nicht stark genug sind. Ich glaube, dass sich das „grüne“ Wählerpotential noch im Aufbau befindet. Derlei Themen stehen in Serbien seit Jahrzehnten am Rande. Es kann daher nicht über Nacht zu einem Umdenken kommen“, relativierte Čabradi die ausgebliebenen Wahlerfolge vom letzten Mal.

Wachsendes Interesse an Umweltthemen in Serbien

Die immer wiederkehrenden Proteste von Stara Planina bis Bor lassen zumindest eine wachsende Sensibilität der Bürgerinnen und Bürger in Umweltfragen erkennen.

Čabradi erhofft sich daher daraus politisches Kapital schlagen zu können. Denn nach seiner Meinung hätten die Menschen einfach die Nase voll von Politikern, die seit dreißig Jahren vor den Wahlen das Eine erzählten und hinterher das andere täten.

„Die Leute haben die Nase voll von Versprechungen. Sie wollen etwas Konkretes. Zum Beispiel kämpfen sie in Bor, Smederevo und Obrenovac dafür, wieder frei atmen zu können. Ihren Marsch auf die Straße sehen sie nicht als Teil der Politik, sondern als einen Kampf für ihre eigenen Interessen. Das ist der Grund.

Es fällt ihnen leichter, sich für etwas zu motivieren und für etwas zu kämpfen, wenn es um konkrete Handlungsfelder geht“, so Čabradis Betrachtung der Lage im Land. Selbstredend seien seine Grünen dabei die Vorreiter für derlei Themen.

Veselinović hingegen steht dem Parteipolitischen skeptischer gegenüber.

„Es reicht nicht aus, wenn eine Partei im Namen das Wort „Grün“ trägt. Sie muss durch ihre Handlungen zeigen, dass sie an diese Ideen glaubt und dafür kämpfen. Was unsere Initiative „Lasst uns nicht ertrinken“ betrifft, denke ich, dass wir dies seit Jahren zeigen und auch in Zukunft zeigen werden“, so Veselinović.

Man habe von Anfang an die Stimme erhoben und auch international mit den europäischen Grünen zusammen gearbeitet. So habe die Initiative es auch geschafft, bei ihrer Kampagne 2018 von grünen Abgeordneten des Europäischen Parlaments sowie von lokalen Umweltbewegungen Unterstützung zu bekommen. Selbst mit ähnlichen Initiativen aus Kroatien bestehe eine gute Kooperation.

Politik wird Umweltthema besetzen

Zoran Stoiljković von der Fakultät für Politikwissenschaft in Belgrad sieht denn auch das Umweltthema als eines der großen Themen der nächsten Jahre. „Ökologie ist das einzige, was von den Bürgern als Thema akzeptiert wird und an welches sie nicht den Glauben verloren haben. Es ist interessant zu sehen, dass wir sensibler für den Umweltschutz geworden sind und dennoch keine einflussreiche Umweltpartei haben. Ist das nicht merkwürdig?

Deshalb versuchen sowohl die Regierung als auch die Opposition dieses Thema positiv zu besetzen. Ganz einfach, weil es politisch nützlich ist. Die Politik muss daher abwägen, wo sie sich zwischen den Interessen des Kapitals und den Interessen des Umweltschutzes verortet“, erklärt der Professor.

Fraglich ist indes, ob ökologische Themen tatsächlich in Serbien heute einen so großen Stellenwert haben, wie es so mancher gerne glauben mag. Denn wie auch in anderen Ländern zeichnet sich durchaus auch auf dem Balkan ab, dass das Thema Ökologie sehr oft bei städtischen Schichten Zulauf hat.

Ob die Menschen in den Kleinstädten oder auf den Dörfern viel mit dem Thema Umweltschutz zu tun haben, insbesondere wenn dieses auf Kosten des eigenen bescheidenen Lebensstandards gehen sollte, steht freilich auf einem ganz anderen Blatt.

Auch ist es sicherlich keine Gewissheit, dass sich Mitglieder lokaler Initiativen auch weiterhin engagieren, wenn es um Themen geht, welche sich quasi nicht mehr vor der eigenen Haustür abspielen. Alles in allem bleibt es also abzuwarten, wie sich Serbiens Bevölkerung im Bereich der Umwelt und Natur in Zukunft zeigen wird.

Für wie wichtig haltet Ihr das Thema Umweltschutz? Glaubt Ihr, dass eine grüne Partei in Serbien ähnliche Erfolge haben kann wie in anderen Ländern Europas? Schreibt uns Eure Meinungen in die Kommentare.

Quelle: politka.rs

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