Serbische Spuren bis heute zahlreich in Istanbul

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Auch wenn man in der Türkei bis heute voller Stolz auf das Osmanische Reich zurückblickt, gibt es doch viele, die ihre Wurzeln auf die seinerzeit unterdrückten und besetzten Völker zurückführen.

Tatsächlich sehen sich hunderttausende von Istanbuler Bürgern als Nachkommen von Serben. Sogar viele serbische Landschaftsbezeichnungen finden sich bis heute in Istanbul, so etwa das „Belgrader Dorf“, den „Belgrader Wald“, ein Istanbuler Naherholungsgebiet, oder die „Belgrader Mahala“.

Aber wie kann das sein?

Dafür muss man bis ins frühe 16. Jahrhundert zurückgehen. Genauer gesagt, ins Jahr 1521. Damals gelang es dem berühmten osmanischen Sultan Süleyman dem Prächtigen Belgrad zu erobern. Die Kämpfe hatten den türkischen Truppen alles abverlangt. Erst nach 45 Tagen konnten sie die serbischen Mauern durchbrechen und ihre Fahnen in der Stadt hissen.

Belgrad faszinierte den Sultan

Süleyman zeigte sich allein davon beeindruckt. Aber auch was er in und bei der Stadt vorfand, faszinierte ihn. So hatten die Serben bis zum Fall Belgrads das römische Aquädukt der Stadt in Stand gehalten. Wohlgemerkt über Jahrhunderte. Denn das Bauwerk selbst stammte noch aus dem 2. Jahrhundert nach Christus.

Nur wenige dieser Bauwerke waren im 16. Jahrhundert noch erhalten geblieben und zeugten von dem hohen technischen Stand der einst im Römischen Reich existierte. Denn mit dem Untergang der Römer geriet auch ihr Wissen in Vergessenheit.

In Belgrad hingegen pflegte man dieses inzwischen fast schon geheime Wissen und pflegte die römischen Anlagen. Denn insbesondere die Wasserversorgung war für die Stadt überlebenswichtig.

Natürlich wollte Süleyman diese Technik auch für seine eigene Hautstadt. Deshalb beschloss er tausende Serben nach Konstantinopel umzusiedeln. Heute würde man freilich sagen, dass er sie schlichtweg deportierte.

Mit Ikonen und Reliquien nach Konstantinopel

Über 2.000 serbische Familien zogen damals mit den Osmanen in Richtung der heutigen Türkei. Nach einem zweimonatigen Marsch über mehr als 950 Kilometer erreichten sie schließlich die osmanische Hauptstadt.

„Die Familien reisten entlang der alten Römerstraße in Richtung Konstantinopel. Diese glich praktisch der heutigen Autobahnroute von Belgrad über Sofia nach Istanbul. Außerdem nahmen sie alles mit, was sie tragen konnten und was ihnen am liebsten war, so auch die Reliquien der heiligen Petka, eine Ikone der Mutter Gottes sowie die Reliquien des heiligen Theophanes“, erklärt Ema Petrović, Orientalistin an der Fakultät für Philologie der Universität Belgrad.

Die Reliquien der heiligen Petka waren übrigens erst im Jahr 1398 durch Prinzessin Milica und ihre Tochter Olivera, der Frau des Sultans Bayezid I., nach Serbien gebracht worden. Stefan Lazarević hatte sie dann in seine Hauptstadt Belgrad gebracht.

Als die Serben in Konstantinopel ankamen, kamen die Reliquien dann in die Kirche des heiligen Georg. Als orthodoxe Patriarchat litt jedoch in der Folgezeit unter großen finanziellen Schwierigkeiten. So dass man sich im 17. Jahrhundert auf ein Geschäft mit dem Herzog von Moldau einließ. Dieser verpflichtete sich, die angehäuften Schulden zu begleichen. Im Gegenzug erhielt er die Reliquien. Deshalb ruhen sie bis heute in der rumänischen Stadt Iaşi.

Der Richtigkeit halber muss ergänzt werden, dass es Süleyman bei der Umsiedlung der serbischen Familien nicht allein um deren bauliche Fähigkeiten ging. Er versprach sich von der Aktion auch eine schnellere Befriedung der besetzten Gebiete.

Belgrad hatte bis zum osmanischen Sieg unter ungarischer Kontrolle gestanden. Die Ungarn waren es jedoch nicht gewesen, die die Türken solange aufgehalten hatten, sondern die Serben. Durch die Umsiedlung versprach sich der Sultan also nicht nur eine Beruhigung der Lage, er ging auch davon aus, dass die Serben in Konstantinopel sich schnell assimilieren und treue osmanische Untertanen werden würden. Danach verlieren sich die Schicksale der Serben in Istanbul teilweise im Strudel der Geschichte.

Ihre Assimilierung in der osmanischen Hauptstadt dauerte lange

Ema Petrović kann jedoch zumindest ein paar Eckpunkte und wahrscheinliche Entwicklungen nennen:

„Es ist heute schwierig zu sagen, was ihr genaues Schicksal war. Sicherlich mussten sie, wie die gesamte nichtmuslimische Bevölkerung des Reiches bestimmte Steuern zahlen und ihre Loyalität beweisen. Diejenigen, die direkt mit der Wasserversorgung zu tun hatten, bekamen auch Steuererleichterungen. Aber da sie im Herzen des Osmanischen Reiches lebten, fand ihre Orientalisierung und auch ihre Islamisierung viel schneller statt als in der Peripherie des Riesenreiches.“

Genaues lässt sich dazu jedoch nicht sagen. Wie lange es dauerte, bis sie der Islamisierung nachgaben und die fremde Religion übernahmen, bleibt im Dunkel der Geschichte. Zwar führten die Osmanen bis ins 17. Jahrhundert hinein sehr genaue Volkszählungen durch. Doch für sie war es nur interessant, wer Moslem und wer kein Moslem war, nicht zuletzt aus steuerlichen Gründen.

Ob jemand sich als Serbe, Bulgare oder als etwas anderes betrachtete, war für die osmanische Bürokratie jedoch egal. Zudem wurden bei den Volkszählungen keine Nachnamen festgehalten. Vermutet wird jedoch, dass eine beschleunigte Islamisierung tatsächlich erst im 17. Jahrhundert einsetzte. Auch werden in dieser Zeit auch erst die Nachnamen zunehmend turkisiert worden sein. Die Serben widersetzten sich also der fremden Religion immerhin gut hundert Jahre lang.

Eine Parallele findet sich zumindest bei den Serben von Gallipoli. Diese kamen in einer späteren Welle auf der türkischen Halbinsel an und stammten wahrscheinlich aus der Region um Jagodina, wie Petrović zu berichten weiß. Hier hielten sich auch einige serbische Namen in den Volkszählungen.

Viele heutige Türken haben Wurzeln auf dem Balkan

Tatsächlich gibt es in der Türkei bis heute große Bevölkerungsgruppen, die ihre Herkunft vom Balkan ableiten, sei es aus dem alten Raška, aus Nordmontenegro, Bosnien oder Mazedonien. Bei den meisten handelt es sich zwar um die bosnische Muslime, aber generell ist die kollektive Erinnerung an ihre jeweilige Herkunft oder an Bräuche aus ihren Ländern bis heute stark ausgeprägt.

Ema Petrović stuft auch den Einfluss der Serben auf das Osmanische Reich als überaus groß ein.

„Im Großen und Ganzen war der Beitrag der Serben zum Osmanischen Reich groß. Die Serben schenkten ihnen zwei Prinzessinnen, Olivera Lazarević und Mara Branković. Etliche Großwesire waren Serben. Zudem sind kulturelle Einflüsse niemals nur einseitig. So wie die Orientalisierung vonstattenging, so gab es auch einen Kulturtransfer der serbischen mittelalterlichen Kultur, um jene synkretistische Kultur zu schaffen, die wir heute auf dem Balkan als orientalisch wahrnehmen und die sicherlich ein großer Reichtum für die Region ist“, stellt Petrović fest.

Für wie groß haltet Ihr den serbischen Einfluss auf die Türken? Welche Beispiele von osmanischen Spuren in Serbien kennt Ihr? Schreibt es uns in die Kommentare.

Quelle: magazin.novosti.rs

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